Jesus lieben lernen

Aus dem Werk des hl. Alphons von Liguori (1696- 1787, Fest: 2. August)

Die Einsetzung des Abendmahles als Ruf zur Gegenliebe
„Wissend, dass Seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen, und die Seinen in der Welt liebend, ging Er in Seiner Liebe bis zum Äußersten“ (Joh. 13,1). Vor Seinem Hingang zum Tod für uns wollte unser liebreichster Erlöser uns das größtmögliche Zeichen Seiner Liebe hinterlassen im Vermächtnis des heiligen Abendmahls. – Bernardin von Siena vermerkt, dass sich die angesichts des Todes geschenkten Liebeserweise dem Gedächtnis am tiefsten einpräge und ganz besonders geschätzt werden. Freunde hinterlassen geliebten Personen gern als Zeichen ihrer Anhänglichkeit ein Geschenk, etwa ein Kleid oder einen Ring. Und was hast Du, mein Jesus, bei Deinem Heimgang zum Andenken an Deine Liebe uns hinterlassen? Nicht bloß ein Kleid oder einen Ring, sondern Deinen Leib, Dein Blut, Deine Seele, Deine Gottheit: Dich selbst, ohne etwas zurückzuhalten.
Das Konzil von Trient sagt, dass in diesem Geschenk der Eucharistie Jesus Christus all die Reichtümer Seiner Liebe für die Menschen ergießen wollte. Und der Apostel weist darauf hin, dass Jesus dieses Geschenk den Menschen ausgerechnet in der Nacht vermachte, in der die Menschen Ihm den Tod bereiteten (1Kor. 11,23f.).
Bernardin von Siena sagt dazu, dass es Jesus in der Glut Seiner Liebe zu uns noch nicht genug war, sich auf die Hingabe Seines Lebens für uns vorzubereiten; das Übermaß Seiner Liebe drängte Ihn, etwas zu tun, das größer war als all die Werke, die Er vorher gewirkt hatte: So gab Er uns Seinen Leib als Speise.
Zutreffend nennt demnach der hl. Thomas das Abendmahl „Sakrament der Liebe, Unterpfand der Liebe“; denn nur die Liebe veranlasste Jesus Christus, sich darin selbst ganz zu schenken. „Unterpfand der Liebe“, auf dass wir nie an Seiner Liebe zweifeln könnten. Als ob unser Erlöser uns sagen wollte: Menschen, wenn euch jemals ein Zweifel an meiner Liebe kommen sollte, schaut, ich schenke mich in diesem Sakrament; mit einem solchen Pfand in den Händen könnt ihr doch wahrhaftig nicht zweifeln, dass ich euch liebe, ja sehr liebe. Dieses Geschenk umschließt alles andere, was Gott uns schenkt: Schöpfung, Erlösung, Auserwählung zur Herrlichkeit. Das Abendmahl ist nicht nur Unterpfand der Liebe Jesu, sondern auch Angeld der himmlischen Heimat, die Er uns geben will.
Der Prophet Jesaja wollte, dass alle Liebeserfindungen Gottes allen Menschen kundgetan werden (Jes. 12,4). Doch wer hätte jemals ausdenken können, dass das menschgewordene Wort sich unter der Gestalt des Brotes uns als Speise anbieten würde, wenn Er dies nicht selbst getan hätte. Augustinus schreibt: „Scheint es nicht Wahnsinn zu sein, zu sagen ‚Esset mein Fleisch, trinkt mein Blut‘? Doch als Wahnsinn erscheint es nur Törichten und Unwissenden.“ Als Jesus Seinen Jüngern dieses Sakrament offenbarte, das Er ihnen als Vermächtnis hinterlassen wollte, konnten sie es nicht fassen, und viele verließen Ihn: „Wie kann dieser uns Sein Fleisch zu essen geben?“ (Joh. 6,52). „Diese Rede ist hart. Wer kann sie anhören?“ (Joh. 6,60). Doch was Menschen nicht fassen und glauben konnten, das hat die große Liebe Jesu Christi sich ausgedacht und verwirklicht. „Nehmet und esset: das ist mein Leib“ (1Kor. 11,24): Da geht es nicht um eine irdische Speise: Ich selbst gebe mich euch ganz.
Man kann nur staunen über die Sehnsucht Jesu Christi, in dem Abendmahl bei uns einzukehren. „Sehnlichst hat es mich verlangt, mit euch dieses Paschamahl zu essen“ (Lk. 22,15). So sprach Er in jener Nacht, in der Er dieses Sakrament der Liebe einsetzte. Das ist der Ausdruck einer brennenden Liebe. Und damit jeder Ihn leicht empfangen kann, wollte Er sich anbieten unter der Gestalt des Brotes. Hätte Er sich empfangen lassen unter der Gestalt einer seltenen oder teuren Speise, so wären die Armen leer ausgegangen; doch nein, Jesus wollte sich zur Verfügung stellen unter der Gestalt einer Speise, die wenig kostet und sich überall findet, damit alle allüberall Ihn finden und empfangen können.
Um uns geneigt zu machen, Ihn in dem Abendmahl zu empfangen, ermahnt Er uns nicht nur durch eindringliche Einladungen: „Kommt und esset von meinem Brot und trinkt den Wein, den ich für euch gemischt habe“ (Spr. 9,5); hier erfüllt sich auch die Einladung: „Iss meine Wabe und trinke meinen Wein“ (Hld. 5,1); darüber hinaus macht Er es zu einem Gebot: „Nehmt und esset, das ist mein Leib“ (1Kor. 11,24). Damit wir doch ja kommen, um Ihn zu empfangen, lockt Er uns mit der Verheißung der ewigen Seligkeit an: „Wer mein Fleisch isst, hat das ewige Leben“ (Joh. 6,55.58). Weiterhin macht Er uns klar, dass wir uns vom Heil ausschließen, wenn wir uns weigern, uns mit ihm in dem Abendmahl zu vereinigen: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset, habt ihr das Leben nicht in euch“ (Joh. 6,53). Diese Einladungen, Verheißungen und auch diese Warnung erfließen aus Seinem großen Verlangen, in diesem Sakrament bei uns einzukehren.
Aber wie erklärt sich dieses große Verlangen Jesu? Dionysius Areopagita sagt, dass die Liebe immer auf Vereinigung hinstrebt. Im gleichen Sinn lesen wir bei Thomas von Aquin: „Liebende verlangen nach dem Einswerden beider.“ So kommt es, dass die unermessliche Liebe Gottes sich nicht nur im Reich der Ewigkeit ganz schenken will, sondern schon hier auf Erden sich den Menschen anbietet, ihn in diesem Sakrament in der denkbar innigsten Vereinigung zu besitzen. Dort erfüllt sich das Bild des Hoheliedes: „Mein Geliebter steht hinter unserer Hauswand, er schaut zum Fenster herein, er lugt durch das Gitter“ (2,9). Zwar sehen wir Ihn nicht, doch Er blickt auf uns und ist wahrhaftig gegenwärtig, und zwar gegenwärtig, um uns zu eigen zu werden. Verbirgt Er sich, so nur, damit wir uns umso mehr nach Ihm sehnen. Schon auf dem Weg zur ewigen Heimat will Er sich uns ganz schenken und zu innigst mit uns vereinigt sein.
Es genügte Seiner Liebe nicht, sich durch Seine Menschwerdung, Sein Leiden und Seinen Tod dem Menschengeschlecht als Ganzem zu schenken, sondern Er wollte einen Weg finden, sich jedem einzelnen von uns zu schenken: dazu setzte Er das Abendmahl ein. „Wer mein Fleisch isst“, sagt er „bleibt in mir und ich bleibe in ihm“ (Joh. 6,56). In dem Abendmahl vereinigt sich Jesus mit dem Menschen, und der Mensch vereinigt sich mit Ihm, und zwar nicht in bloßem Liebesverlangen, sondern wahrhaft und wirklich. So konnte Franz von Sales sagen: „In keiner anderen Handlung erscheint der Erlöser zärtlicher und liebevoller als in dieser, in der Er sich sozusagen selbst entäußert und sich zur Speise macht, um tief in unser Innerstes einzudringen und sich mit Herz und Leib Seiner Gläubigen zu vereinigen.“
Das ist der höchste Grad der Liebe, sich uns als Speise zu schenken, um zur höchstmöglichen Vereinigung zu gelangen, so ähnlich wie der Essende und die Speise sich vereinen. O wie sehr findet Jesus Christus Gefallen, mit uns vereint zu bleiben! Das bedeutet eine ganz persönliche Einladung: Wohlan, liebe mich, und so bleiben wir in Liebe vereint und werden uns nie trennen!
Es gilt also, uns zu überzeugen, dass der Gläubige sich nichts ausdenken und nichts tun kann, was Jesus Christus wohlgefälliger ist als mit einer dem hohen Gast gebührenden Vorbereitung zum Abendmahl hinzutreten; denn so vereinigt man sich mit Jesus Christus entsprechend der Absicht dieses liebeerfüllten Herrn. Ich sage „mit der gebührenden Vorbereitung“ und nicht mit der des Herrn würdigen; denn wäre letzteres verlangt, wer könnte dann überhaupt zum Abendmahl gehen? Denn man müsste ja Gott sein, um Gottes würdig genannt zu werden. Unter „gebührend“ verstehe ich das, was einer armseligen Kreatur im belasteten Fleisch der Adamskinder zukommt. Es genügt, allgemein gesprochen, dass man im Stand der Gnade ist und das Abendmahl empfängt mit lebhafter Sehnsucht, in der Liebe zu Jesus Christus zu wachsen. „Es gilt, um der Liebe willen zu empfangen, was Liebe allein uns geschenkt“, sagt Franz von Sales.
Weiterhin gilt es, zu verstehen, dass uns nichts so reich beschenkt wie das heilige Abendmahl. Der Vater hat Jesus Christus all Seine Reichtümer übergeben (Joh. 13,3). Wenn darum in dem Abendmahl Jesus Einkehr bei einem Menschen hält, bringt Er mit sich unfassbar reiche Schätze der Gnade. Darum kann der Gläubige nach dem Abendmahl sagen: „Alle Güter kamen mir zugleich mit ihr (der ewigen Weisheit), und ungezählter Reichtum war in ihren Händen“ (Weish. 7,11). Das heilige Abendmahl hat die größte Kraft, uns auf dem Weg der Heiligkeit voranzubringen. Vinzenz Ferreri schreibt, dass die Seele von einem einzigen Abendmahl mehr gewinnt als von einer ganzen Woche des Fastens bei Wasser und Brot.
Vor allem entflammt dieses Sakrament die Seelen mit der göttlichen Liebe. „Gott ist die Liebe“ (1Joh. 4,8). Er ist Liebesfeuer, das in unseren Herzen die ungeordneten Anhänglichkeiten verbrennt. „Dein Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Dtn. 4,24). Nun ist der Sohn Gottes gerade dazu gekommen, um dieses Feuer der Liebe auf Erden zu entzünden. Was anderes ersehnte Er mehr, als dieses heilige Feuer in den Seelen zu entzünden (Lk. 12,49). O welche Flammen der göttlichen Liebe entzündet Jesus Christus in jedem, der dieses Sakrament andächtig empfängt!
Die Braut im Hohelied sagt: „Er führte mich in den Weinkeller. Sein Banner über mir ist die Liebe“ (2,4). Gregor von Nyssa sieht in dem Abendmahl jenen Weinkeller, in dem die Seele von der göttlichen Liebe so trunken ist, dass sie Abstand gewinnt von allen Geschöpfen. Und dies ist der Durst nach noch größerer Liebe, von der die Braut sagt: „Ich bin krank von Liebe“ (2,5). – Vielleicht wirft jemand ein: Aber ich empfange das Abendmahl oft, warum finde ich mich dann so kalt in der göttlichen Liebe? Gerson antwortet auf diesen Einwurf: „Willst du dich vom Feuer entfernen, weil du frierst?“ Nein, wenn du dich kalt fühlst, geh um so öfter zum heiligen Abendmahl, vorausgesetzt, dass du ein ehrliches Verlangen hast, Jesus Christus zu lieben.
Franz von Sales sagt in seiner Philothea: „Zwei Gruppen von Personen sollten oft zum Abendmahl gehen: die Vollkommenen, um sich auf dem Weg zur Vollkommenheit zu halten, und die Unvollkommenen, um zur Vollkommenheit zu gelangen.“ Doch bedarf es eines großen Verlangens, heilig zu werden und in der Liebe zu Jesus Christus zu wachsen.
Zwiesprache und Gebet
Gott der Liebe, grenzenlos Liebender und würdig einer grenzenlosen Liebe, gibt es noch etwas ausfindig zu machen, um unsere Liebe zu gewinnen? Es war Dir nicht genug, Mensch zu werden und Dich unserem Elend auszuliefern, für uns den letzten Tropfen Deines Blutes unter Qualen zu vergießen und vom Schmerz verzehrt an einem für die schlimmsten Verbrecher bestimmten Kreuz zu sterben. Du hast Dich schließlich so sehr selbst entäußert, dass Du Dich unter den Gestalten des Brotes uns zur Speise gemacht hast, um Dich ganz mit jedem von uns zu vereinen. Nochmals kommt mir die Frage: Gibt es noch etwas zu erfinden, um unsere Liebe an Dich zu ziehen? Was für Jammergestalten sind wir, wenn wir Dich in diesem Leben nicht lieben! Wenn wir dann in die Ewigkeit eintreten, welch großen Schmerz wird es uns bereiten, Dich nicht geliebt zu haben!
Mein Jesus, ich möchte nicht sterben, ohne Dich zu lieben, Dich von Herzen zu lieben.
Schmerz und Reue überwältigen mich beim Gedanken, wie oft ich Dir missfallen habe; ich möchte vor Reueschmerz darüber sterben.
Jetzt liebe ich Dich über alles, mehr als mich selbst, und weihe Dir alle Regungen meines Herzens. Du, der Du mir diese Sehnsucht schenkst, gib mir auch die Kraft, sie in die Tat umzusetzen.
Mein Jesus, ich erflehe von Dir nichts anderes als Dich selbst. Da Du mich nun zu Deiner Liebe angezogen hast, lasse ich alles hinter mir, verzichte ich auf alles und halte mich an Dich: Du genügst mir.

(Mit leichten Anpassungen an die neue Rechtschreibung aus: Alphons von Liguori, Jesus lieben lernen, Brendow Verlag, Moers 1990, S. 23- 29).

 

 

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